Schotterplatz #10 Wie mich Berlin auf dem falschen Fuß erwischte

Frauen WM also. Nicht, dass ich ein generelles Verbot für Frauenfußball fordere. Ich will es bloß nicht sehen.

Ich fand es immer lächerlich, dass eine Frauen WM oder EM so stark beworben wird. Guckt doch eh keiner. Ob in Berlin-Schöneberg überhaupt irgendjemand mitbekommen hat, dass aktuell die WM der Damen läuft? Vielleicht. Aber wie Deutschland spielt? Ganz sicher nicht. Recherchen vor der eigenen Haustür – ich wage mich ins Feld. Getrieben der festen Überzeugung, dass sich hier nix und niemand für die weiblichen Kickerinnen interessiert

Ich nahm mir ein Buch mit, damit ich mich lesend stellen konnte. Ich könnte mir meine Gesprächspartner dann leichter raussuchen. Gedacht, getan.

Erste Lehrstunde

Als erstes nähere ich mich einer Gruppe Jugendlicher. Halbstark. Am Kiffen. Was man halt so macht mit 17, 18. Ein einziges Mädchen mit dabei. Ich male mir aus, wie die Jungen großmäulig auf Frauenfußball herumhacken, während das Mädel verschüchtert daneben sitzt. 

Ich also:

„Jungs, darf ich euch mal was fragen? Wisst ihr, was gerade für ein Turnier läuft?“

Wie? Leichtathletik oder was?(Haha, ich hatte sie!)

„Nein, ein Mannschaftssport. Turnier.“

„Ach, Sie (Du!)meinen Fußball? Frauen-WM oder was?“ (Verdammt…)

„Wie findet ihr denn Frauenfußball? Guckt ihr das?“

„Also, wenn ich vom Fußballtraining komme und mich kurz ausruhe, gucke ich mir das schon an.“

„Aber das ist doch viel langweiliger als Männerfußball. Die Nationalmannschaft der Frauen verliert doch gegen jede bessere B-Jugend.“

„Ja natürlich, die sind ja auch vom Körper her schwächer. Ist halt so“

Die ganze Runde nickt zustimmend. 

Das Mädchen hatte bisher geschwiegen, also frage ich sie nach ihrer Meinung zur Frauen-WM.

„Nix.(Ha!) Mag keinen Fußball. Ich mache Boxen.“(Oh, okay.) 

Soso, der Nachwuchs heute ist dem weiblichen Profisport auf dem Platz gegenüber also aufgeschlossen – oder zumindest an beiden Geschlechtern gleichermaßen desinteressiert. Oder hatten die Jungs nur Angst vor ihrer boxenden Begleiterin und haben sich deshalb nicht getraut über Frauenfußball zu lästern?

Einschätzungen aus dem Inneren einer Erdbeere

Ich setze meine investigative Reise fort. Vor mir taucht eine riesige Erdbeere auf. Darin eine Verkäuferin, die aufgrund der hohen Außentemperaturen, die sich in der nichtklimatisiserten Erdbeere vervielfachen, schwitzend vor sich hin starrt. 

„Hallo, haben Sie Lust, sich mit mir über Frauenfußball zu unterhalten?“

„Über watt?“ (Aha!)

„Im Moment läuft die Frauenfußball-WM. Wie ist Ihre Meinung dazu? Finden Sie, dass dieses Event zu viel beworben wird? Und was denken Sie darüber, dass das Ganze durch die allgemeinen Rundfunkgebühren finanziert wird?“

„Also, so doll können se ja nich jeworben haben, sonst wüsste ick ja davon. Und unsere Rundfunkgebühren…Hörnse uff. Wir zahlen doch für jeden Scheiß, der da kommt. So lang se Rote Rosen nich absetzen, ist mir dit ejal. Ick muss jetzt ooch weitermachen.“

Kurz und ehrlich. Na gut.

Beste Leben Dank voll guter Quote

Ich schlurfe weiter. Hipster Café. Davor eine Gruppe muskelbepackter Araber.

„Hey, Leute! Ich wollte euch mal über etwas befragen. Habt ihr kurz Zeit?“

„Über Gangkriminalität, wa? Dann verpiss dich!“

„Nee, ich wollte eigentlich über Frauenfußball reden. Wisst ihr, dass gerade WM ist?“

„Haha, ja, man. Gibt voll gute Quoten im Wettbüro! Geh ma gucken. Hab gestern 500 Euro gewonnen, Junge.“

„Aber nervt euch der ganze aufgezwungene Hype nicht? Zu viel Werbung im Fernsehen und so?“

„Kein Plan. Ich gucke kein deutsches Fernsehen. Nur Satellit.“

Ok. Hier ist wohl auch kein seriöser Stimmfang möglich. Ich verabschiede mich höflich. Einer ruft mir laut hinterher: 

„…und Wettbüro! Beste Leben, ja?!“

Vermutlich will er damit ausdrücken, dass er momentan eine Glückssträhne beim Sportwetten hat. Gut, bei Frauenfußball… Man kann ja mittlerweile auf alles wetten.

Kaffeeservice für Kickerinnen? Historische Niederlage!

Kritische Stimmen zur Fußball-WM der Frauen? Fehlanzeige! Da entdecke ich eine Passantin, von der ich aufgrund ihres Erscheinungsbildes vermute, sie sei sie gänzlich gegen Kommerz. Aber kann ich mich überhaupt noch auf meine Einschätzungen verlassen? Bisher wurde ich von allen Seiten eines besseren belehrt. Naja, einen Versuch ist es wert.

„Hallo! Ich höre mich gerade mal wegen der Frauenfußball-WM um. Wissen Sie, dass die gerade ist?“ 

„Nein, das wusste ich nicht.“

„Finden Sie das gut, dass so viel Werbung überall ist und so ein Tamtam darum gemacht wird?“

„Ja, na klar. Ich kann das nur gutheißen mit der Werbung. Endlich wird das mal ebenbürtig übertragen und beworben. Wissen Sie, dass die bei ihrem ersten Titel ein Kaffeeservice bekommen haben? Das ist doch eine Frechheit, finden Sie nicht?“ 

„Ja klar, das kann wirklich nicht angehen!“

„… und überhaupt, haben Sie schonmal darauf geachtet, was hier los ist, wenn eine Männer-Weltmeisterschaft ist? Also, dann wird es ja richtig pervers mit der Werbung. Dann kann man wirklich nirgendwo hingucken, ohne mit Fußball konfrontiert zu werden!“

Damit hatte ich nun wirklich keinen Wind mehr in den Segeln.

Ehrliches Leder, statt goldener Kuhhaut

Etwas abgekämpft von meinem investigativen Spaziergang mache ich Pause an einem Späti. Ich habe mir ein kühles Bier verdient. Das war bisher wirklich ernüchternd. Gibt es denn wirklich niemanden, dem die ganze Scheiße auch auf den Sack geht? Oder ist mein Desinteresse gegenüber dem Frauen-Fußball wirklich zu radikal?

Zwei Bauarbeiter kommen an meinen Stehtisch in der Sonne und öffnen ihre Biere. Mich interessiert, was die beiden über Frauenfußball denken – mich kann heute nichts mehr schocken. Also frage ich so ehrlich wie direkt:

„Sagt, was haltet ihr denn von Frauenfußball? Wisst ihr eigentlich, dass gerade WM ist?“ 

„Klar, wir jehn glei kieken.“

„Aber warum? Das macht doch keinen Spaß. Das ist viel zu langsam. Das ist doch kein Spitzensport“, platzt es aus mit raus.

„Kleener, dit is uns aber ejal. Die trainieren jenauso viel und müssen noch nebenbei arbeiten. Die sind sind alle beie Bulln oder beie Armee. Die müssen arbeiten jehn und der Ribéry jeht hier n joldenet Schnitzel essen.“

(Tja, Froonk (Ribéry), das wirste nicht mehr los. War zwar ein Steak mit Blattgold, aber das fliegt dir jetzt um die Ohren.) 

„Die sind alle überbezahlt. Dit is doch pervers. Dann kiek ick lieber ehrlichen Fußball. Auch wenns langsamer ist. Dit sind unsere Mädels! Die reißen sich wenigstens den Arsch uff! Unterstützung!“

Sie hatten mich. Bauarbeiter, die Unterstützung für den ehrlichen Frauenfußball proklamierten. Und ich? Voll von Vorurteilen und einer sportlichen Einstellung von anno 1972. Ehrlichkeit und Herz plus der sportliche Gedanke zählen für die meisten halt doch mehr. 

Beim Männerfußball wird ja mittlerweile der Sport dem Kommerz untergeordnet. Mafia-ähnliche Strukturen bei der FIFA. WM-Vergaben in Wüsten- und Schurkenstaaten. Es ist alles das, was Sport nicht sein soll: ungerecht, unsportlich und damit vielleicht tatsächlich auch überbewertet.

Ich denke, ich sollte mir vielleicht auch mal ein Spiel ansehen. Oder wenigstens drauf wetten…



image sources

  • jeffrey-f-lin-691549-unsplash: Photo by Jeffrey F Lin on Unsplash

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert